Geschichte des Kirchhertener Karnevals  


6.
Karneval mit neuem Schwung – die KG "Mülle Jonge" von 1970

6.1. Vier Männer als Wegbereiter für eine karnevalistische Zukunft

Im Kölner Stadt-Anzeiger vom 12.12.1973 findet man einen interessanten Bericht, der Antwort auf die oben gestellte Frage gibt: "Da man [KG "Nette Ruhige Leut", Anm. d. Verf.] in diesem Jahr keine Sitzung veranstaltet, hat man sich dahingehend geeinigt, einige aktive Mitglieder an die neue KG "Mülle Jonge" auszuleihen."

Eine neue KG Mülle Jonge? Was war geschehen? Am 11.11.1970, an einem für jeden Karnevalisten bedeutsamen Tag, saßen Gerhard Offermanns, Franz Heinz Kloke, Fred Braun und Josef Jansen im Hotel "Deutsches Haus" zusammen. In fortgeschrittener Bierlaune, unter dem leidvollen Eindruck, dass der Sitzungskarneval in unserem Ort nicht mehr existent war, äußerte Gerhard Offermanns:

"Mir müsse jet donn! In Kirchherte muss endlich wiehr Fastelovend jefiert werde!"

Damit hatte er nur das ausgesprochen, was die übrigen ebenfalls empfanden. Für den 28. November lud man Interessierte zu einer Gründungsversammlung ein. 16 Männer folgten der Einladung und gründeten die "Karnevalsgesellschaft Kirch-Grottenhertener Jonge": Günter Becker, Josef Becker, Fred Braun, Josef Hansen, Heinrich Heiartz, Josef Jansen, Franz Heinz Kloke, Dieter Koehl, Gerhard Kraus, Günther Müller, Gerhard Offermanns, Johann Poeckl, Anton Schmitz, Philipp Schroers, Konrad Uerlings, Peter Zimmermann. Einige von ihnen waren auch schon in der KG "Nette Ruhige Leut" aktiv gewesen.

Die Versammlung, von der Stimmung her schon ein wenig an eine Karnevalssitzung erinnernd, wählte noch am selben Abend den Vorstand: Franz Heinz Kloke (Vorsitzender), Fred Braun (Geschäftsführer), Josef Jansen (Kassierer), Gerhard Offermanns (Präsident), Peter Zimmermann (Vizepräsident) und Konrad Uerlings (Beisitzer).

6.2. Prunksitzungen und andere Veranstaltungen – die KG als neues, belebendes Element

Trotz sehr begrenzter finanzieller Mittel, doch getrieben von unbändigem Idealismus und geleitet durch das Improvisationstalent des Präsidenten wurde schnell ein funktionierender Verein aufgebaut. So gelang es bereits im Februar 1972 – die Mitgliedszahl war schon auf 23 angewachsen - eine erste Prunksitzung zu veranstalten. Präsident Offermanns führte souverän durch das abwechslungsreiche Programm, das man, nur unterstützt von der KG "Kleine Lipper", ausschließlich mit eigenen Kräften bestritt Überhaupt sollten diese Stimmungsbringer aus unserem Ort in den ersten Jahren die ausschließlichen "Stars" auf den närrischen Brettern sein: Als Redner fungierten u.a. Toni Kremer, Theo Kerstges, Dieter Koehl, Willi Olligs und Franz Mattern. Ihre Beiträge wechselten mit Liedvorträgen der Gesangsgruppen "De Mülle Jonge", bestehend aus Dieter Koehl, Heinz Küpper, Reiner Schmitz und Peter Weinhag, sowie der "Ühledahlsänger" mit Albert Zimmermann, Josef und Matthias Köcher, Georg Kargl und Kurt Schwarz. Bei Letzteren handelte es sich um Vorstandsmitglieder des Bürgervereins Kirchherten, die das Dorfgeschehen und seine Bewohner mit zwinkerndem Auge auf´s Korn nahmen.

Als Stimmungssänger begeisterte Michael Kerstgen, der von Wilhelm Köcher am Schifferklavier begleitet wurde. Diese Aufgabe übernahm später der jetzige Vorsitzende Kurt Berg in der Rolle des "singenden Kellermeisters". Weitere Attraktionen auf den Sitzungen waren die "Schnäuzergarde" unter Leitung von Franziska Schmitz sowie die von Agnes Schroers gegründeten "Roten Funken".

Doch nicht nur die Ausrichtung des Kirch-Grottenhertener Sitzungskarnevals war ein Anliegen der Gesellschaft. Hier einige Beispiele: 1973 veranstaltete man unter der Schirmherrschaft des damaligen Bürgermeisters Heinrich Franken einen Volkswandertag, der später unter der Regie der hiesigen Interessengemeinschaft als Rad- und Wandertag fortgeführt wurde. Die Ausrichtung der 1.100-Jahr-Feier unseres Doppelortes wurde intensiv von der KG unterstützt. Ein anderes Mal fuhr man zum St.-Hubertus-Stift nach Bedburg, um den Kranken ein närrisches Ständchen zu bringen.

1983 fand erstmals ein "Karnevalistischer Frühschoppen" statt, der insbesondere auch von befreundeten Gesellschaften gerne besucht wird. Die Aufmärsche von Corps, die Darbietungen der Roten Funken, insbesondere aber die Auftritte der "Fidelen Musikanten aus St. Nikolaus" begeisterten über die Jahre die Karnevalsfreunde in der Mehrzweckhalle.

Immer war es Bestreben der Gesellschaft, über den Karneval hinaus einen aktiven Beitrag zum gesellschaftlichen und Dorfleben zu leisten. Man brachte sich bei vielen Festen ein, besonders aber lag es den Karnevalisten am Herzen, zur Freude der Alten und Kranken im Kloster "Maria Hilf" alljährlich eine Sitzung zu veranstalten.

Das Programm der eigentlichen Prunksitzungen hat sich gegenüber den ersten Jahren - dem Zeitgeist entsprechend – wesentlich verändert. Durch den Einfluss der Medien, durch eine immer größere werdende Erwartungshaltung des Publikums musste man dazu übergehen, bekannte Kräfte aus den Hochburgen des Karnevals nach Kirchherten zu holen. So traten beispielsweise in den vergangenen Jahren die auch aus dem Fernsehen bekannten Gesangsgruppen "De Gäng" und "Die Räuber", das Tanzcorps "Rheinmatrosen", das Traditionscorps "Jan van Werth", der "bergische Landbote" als auch "Dotz und Dötzche" sowie "Pit und Joe" bei uns auf.

6.3. "Mülle Leed" und "Mülle Jonge"

Im Jahr 1972 komponierte der Altkarnevalist Josef Cremer das "Mülle Leed", das sich schnell zur Vereinshymne entwickelte. Erstmals auf der Prunksitzung 1973 vorgetragen, wird mit ihm seitdem jede Sitzung beschlossen.

1973 war überhaupt ein wichtiges Jahr in der Geschichte der Gesellschaft. So schaffte man damals eine Uniform an, die zu einem einheitlich-positiven Bild der Mitglieder beitrüg. Dass man zukunftsorientiert denken konnte, beweist die Entscheidung der Mitgliederversammlung, unter Leitung von Franziska und Anton Schmitz etwas zur Förderung des Nachwuchses zu tun.. Man gründete die "Jung Mülle Jonge", deren erste Kindersitzung am Veilchendienstag 1974 unter der Präsidentschaft von Heinz Josef Jansen stattfand.

Am 31.5. 1974 wurde erstmals das Mühlenfest an der Grottenhertener Windmühle veranstaltet. Der Stadt-Anzeiger berichtete: "Das ist eine deftige Sache: Zwei Schweine müssen ihr Leben lassen. Bei Panhas, Hämchen, Rippchen und Erbsensuppe schmeckt das Kölsch noch mal so gut." Das Fest entwickelte sich in den folgenden Jahren zu einem Magnet für Besucher nicht nur aus unserem Ort. So begann man bald bereits am Vorabend mit Tanz und ließ den Frühschoppen am Vatertagsabend ausklingen. Seit 1987 findet das Fest an der Grillhütte statt.

Der große Erfolg dieser ersten Veranstaltung, die enge Beziehung zu unserem Ortswahrzeichen motivierte die Akteure 1974, dies im Vereinsnamen zu bekunden. Von nun an nannte man sich "KG Mülle Jonge von 1970 e.V". 1978 wurde der Verein ins Vereinsregister beim Amtsgericht Bergheim eingetragen.

6.4 Würdenträger aus unseren Reihen

Am 19.11. 1977 wurde im Vereinslokal "Deutsches Haus" unser Prinzenpaar durch Bürgermeister Willi Kaiser prokalamiert. Mit Prinz Johann (Johann Poeckl), besser bekannt als "Rheinischer Johann" und Prinzessin Sibille (Sibille Zander) stellte man die närrischen Regenten der Schloßstadt.

In der Session 1982/83 hatte die Gesellschaft ihr erstes Trifolium, das zugleich als Stadtdreigestirn in den Sälen in und außerhalb Bedburgs bejubelt wurde. Am 13.11.1982 erfolgte im "Hotel Deutsches Haus" die Proklamation von Prinz Peter (Hans Peter Peters), Jungfrau Theodora (Theo Dederichs) und Bauer Bernd (Bernd Zimmermann).

Sechs Jahre später vertrat wiederum ein Dreigestirn aus unserem Ort die Farben der Schloßstadt im Karneval. Am 11.11. 1988 wurden Prinz Hermann (Hermann Sanders), Bauer Heinz Josef (Heinz Josef Olligs) und Jungfrau Martina (Matthias Müller) von Bürgermeister Hans Schmitz proklamiert.

Eine besondere Ehre für die KG ist die Tatsache, dass das letzte Stadt-Dreigestirn in diesem Jahrhundert, das Jahrtausend-Trifolium der Session 1999/2000 aus seinen Reihen stammt. Am 12.11. 1999 wurden Prinz Wilfried (Wilfried Rick), Bauer Kurt (Kurt Berg) und Jungfrau Michaela (Michael Loup) von Bürgermeister Willy Harren in das närrische Amt eingeführt. Nicht nur die großen Gesellschaften der Stadt mit ihren Tanz- und Musik-Corps, sondern u.a. auch die "Roten Funken" und Norbert Mattern aus Kirchherten bildeten einen begeisternden Rahmen für das einmalige Ereignis, zu dem auch "De Höhner" aus Köln gekommen waren.

6.5. Mit "Wenkmüll Alaaf" ins dritte Jahrtausend

Im Jubiläumsjahr führen folgende "Mülle Jonge" den Verein:

Vorsitzender: Kurt Berg 2. Vorsitzender: Dirk Poulwey
Geschäftsführer: Michael Loup Kassierer: Günther Müller
Beisitzer: Dieter Bippus  
Präsident: Heinz-Georg Olligs Vizepräsident: Wilfried Rick

30 Jahre KG "Mülle Jonge" – eine lange Zeit mit Höhen und Tiefen, mit großartigen Erfolgen aber auch Enttäuschungen. Vorsitzende und Präsidenten haben gewechselt, die Akteure heute sind zumeist nicht mehr dieselben wie im Gründungsjahr. Der Karneval im Allgemeinen hat, so muss man feststellen, etwas von seinem spontanen "Spaß an der Freud" verloren., eingezwängt in starre Vorschriften und eine Organisation, die die freie Entfaltung des natürlichen Humors häufig verhindert.

Es scheint, dass der hiesige Fastelovend mit der KG als Mitveranstalter in unserem Dorf noch etwas von dem bewahrt, was den rheinischen Karneval in mehr als 150 Jahren so reizvoll und liebenswert gemacht hat. So ist es nicht verwunderlich, dass jedes Jahr viele Gäste von außerhalb den Weg in unseren Ort suchen, um hier noch ein wenig vom urtümlichen, vom Fasteleer für alle mitzuerleben. Man kann nur hoffen, dass auch in Zukunft der Karneval hier so gefeiert wird, dass man mit Freude und aus vollem Herzen "Wenkmüll Alaaf" rufen kann. Garant dafür muss die KG "Mülle Jonge" sein, in der sich alle Mitglieder geschlossen und begeistert für unseren Fastelovend einsetzen.

Heinz-Gerd Schmitz